20./21.5.2022 – Nürburgring Classic

Der King vom Nürburgring

„Der Teufel hat den Schnaps gemacht, um uns zu verderben, heißt es in einem Lied von Udo Jürgens. Warum habe ich seine Lieder nicht intensiver gehört, dann wäre mir der Schlamassel hier erspart geblieben“, fluchte ich vor mich hin und rückte noch einmal nervös meinen Eierschalhelm zurecht. „Hier“ ist der „Nürburgring“ und „der Schlamassel“ ist die Nordschleife, auf der ich im Rahmen der Nürburgring Classic zur Hatz startete. Vor einem Weilchen saß ich mit meinem lieben Freund Christian Loch zusammen und wir stießen auf seinen neuesten Erwerb an: einen VW Käfer 1200. Schnell stellten wir fest, dass sein Käfer mit 30 PS und 810 Kilogramm und mein Lloyd LP 600 mit 19 PS und 540 Kilo Leergewicht praktisch das gleiche Leistungsgewicht haben. Da müssten wir doch einmal sehen, welcher Wagen schneller ist. Befeuert von drei oder vier Martini krähte ich benommen aus meinem Sessel: „Das machen wir auf der Nordschleife.“ Am nächsten Tag hielt ich das Ganze nüchtern betrachtet für eine verdammte Schnapsidee. Mit 19 PS und ohne Sicherheitsgurte die grüne Hölle zu durchfahren schien mir bei Licht betrachtet so wenig verlockend wie das Tragen einer rostigen Stacheldrahthose. Doch Christian hatte uns schon bei den Nürburgring Classic angemeldet.
Aber nach einigen Schreckstunden war ich wieder die ganz der Alte. Einer von den mit allen Wassern gewaschenen Machern, die wir ja überall so gut gebrauchen können.
Und so ging ich Fuchs daran, den Wagen und mich optimal auf den Einsatz vorzubereiten. Ich schaute mehrere Fitnessvideos auf YouTube und füllte einen neuen Organspendeausweis aus. Beim Lloyd erhöhte ich den Luftdruck der Reifen von 1,4 auf 1,6 bar (famose Idee) und räumte wegen der Gewichtsersparnis das Handschuhfach komplett leer.

Kaum waren diese aufwändigen Vorbereitungen abgeschlossen, war auch schon der Termin am Nürburgring.
Christian rollte mit mir zusammen in der Döttinger Höhe auf die Nordschleife. Er war schon bald mit seinem Käfer davongezogen. Der Arme! Bei dem Tempo kann er doch die schöne Landschaft gar nicht genießen. Doch auch ich geriet immer mehr in den Geschwindigkeitsrausch. Schon nach nicht sehr langer Zeit war die Tachonadel auf 50 geschossen, dann ging es auch schon munter weiter – 60, 70, 80, 90 km/h! Ja bei solchen Geschwindigkeiten auf der Nordschleife braucht man den Mut eines Tigers; ich habe ihn! Als ich die steile Fuchsröhre hinabrauschte, schnellte die Tachonadel sogar auf 103 km/h. Dabei liegt die eigentliche Höchstgeschwindigkeit meines Lloyds nur bei 100 km/h. Hammer, was Mensch und Maschine hier leisten. Da braucht es Nerven aus Drahtseilen. Ich habe sie! Alle anderen Fahrzeuge waren sogar noch viel schneller, der Tempo-Überschuss macht mir aber keine Sorgen, denn RESPEKT wird zum Glück großgeschrieben und alle lassen genug Platz beim Überholen. Und so hatte ich sogar die Gelegenheit, perfekt ins Karrussel zu fahren, der letzten Steilkurve einer europäischen Rennstrecke. Auf den Betonplatten hüpfte (1,6 bar, idiotische Idee) mein Lloyd so wild wie ein Känguru auf Ecstasy und ich hielt mich mit Bärenkräften am Lenkrad fest, um ja nicht mit dem Kopf gegen das Wagendach zu schlagen. Denn schließlich ist mein alter Eierschal-Helm-Model sehr empfindlich. Und ich will auf keinen Fall, dass er kaputtgeht. Denn ich sehe mit ihm umwerfend gut aus und darum geht es ja schließlich bei so einem Helm.
Als es die hohe Acht hochgeht fing ich dann an zu schwitzen wie ein Polar-Fuchs in der Sauna. Bei der Steigung von 18 Prozent,schickte mein Lloyd wegen der Anstrengung jegliche Motorwärme in den Fahrgastraum. Doch auch dieses Herausforderung überwanden wir und schon bald danach fuhr ich ins Fahrerlager zurück. Dort empfing mich schon Christian, der auch gleich die Zeiten parat hatte: Er schaffte die 20 Kilometer in 15,19Minuten. Ich brauchte mit 24,16 Minuten nur unwesentlich länger. Da sieht man wieder einmal meine einzigartige Klasse. Timo Bernhard dagegen sollte sich mal ein paar Gedanken machen! Der Rennfahrer hält auf seinem Porsche 919 Hybrid den Rundenrekord mit 5,19 Minuten. Mit 1000 PS hatte er aber 50 mal so viel Power wie mein Lloyd. Und wenn man meine Zeit durch dieses 50 teilt, zeigt der Taschenrechner, dass ich und der Lloyd mit 1000 PS Leistung die Nordschleife in 30 Sekunden umrunden würde. Was für ein Teufelskerl ich doch bin! Und Herr Bernhard darf sich gern bei mir melden, ich habe sicherlich ein paar wertvolle Tipps auf Lager, wie er noch ein bisschen schneller werden kann.
Gleich suchte ich die schöne Steffie auf, die ich vor dem Start im Fahrerlager kennen lernen durfte, um ihr von meiner Meisterleistung zu erzählen. Es war dann so schön, ihr beim Schwadronieren in die leuchtenden Augen zu schauen. Und während ich mir selbst beim Reden zuhöre, wurde mir glasklar, was für eine gefährliche Höllenfahrt ich doch schilderte.
Gleich kündigte sich bei mir deswegen ein Nervenzusammenbruch an. Herrlich. Ich fragte mich, was wohl Heiteres passieren wird? Ein Tränenausbruch? Herzrasen? Unregelmäßiger Husten? Nein, noch besser: mir drohten die Beine zu Versagen! Als Weltmann ganz alter Schule wusste ich zum Glück, was zu tun ist: blitzschnell griff ich Steffies schöne Hände und streichelte sie eifrig. Ah, was für eine Wohltat, gleich kehrte die Kraft zurück! Die nutzte ich sofort, um aus dem Kofferraum einen goldfarbenen Pokal herauszukramen. Online (16,40 Euro inklusive Gravur) hatte ich ihn mir vor den Nürburgring Classic bestellt. „Nordschleifen-Bezwinger“ ist darauf eingraviert. Ja, das bin ich, ein Teufelskerl wie er im Buche steht! Von nun an wird er auf meinem Schlafzimmerschränkchen stehen.
Süße Träume sind mir gewiss.
Und Steffies Mobilnummer habe ich inzwischen auch.

Text: Norbert Bodgon